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Weißbuch

Kommentar in digitalen Editionen TEI Download PDF Download

Straub, Wolfgang; wolfgang.straub@aau.at

Die Zeiten, in denen etwa historisch-kritische Ausgaben ohne Kommentar erschienen, sind längst vorbei; Kommentare gehören zum editorischen Inventar. Wie sich ein Kommentar definiert, was er beinhalten und wie umfassend er sein soll, darüber gibt es, trotz der langen Geschichte der Textsorte, keinen editionswissenschaftlichen Konsens. Einigkeit könnte wohl bei einigen allgemeinen Grundsätzen erreicht werden, etwa dass beim Kommentar „[d]ie Beschränkung auf das im editorischen Kontext Notwendige [...] als Richtlinie gelten“ solle (Plachta 1997, S. 118) oder man von einem „Brückenschlag zwischen Text und Leser“ (Martens 1993, S. IX) sprechen könne. Die Bandbreite der Kommentierungsmöglichkeiten reicht von einem asketischen bis zum Vollkommentar; die beiden geläufigsten Formen sind Überblickskommentar sowie Stellen- und Sachkommentar. Beide dienen in erster Linie dazu, Textanordnung und -konstitution zu begründen, den Entstehungszusammenhang zu vergegenwärtigen und Sacherläuterungen oder Worterklärungen zu liefern. (Woesler 1997, S. 23)

Nur ein kleiner Teil Digitaler Editionen weist Inhalte auf, die expressis verbis eine Kommentarfunktion ausweisen; und der Kommentar in Digitalen Editionen orientiert sich meist an den aus gedruckten Editionen bekannten und gebräuchlichen Formen – beides haben vergleichende Studien ergeben. (Bleier/Klug 2020, 103; Zihlmann-Märki 2020, S. 167) Kommentierung erfolgt in Editionen nicht selten in Formen, die nicht explizit als Kommentar deklariert werden. Mit Rolf Bräuers weitem Kommentarbegriff ließen sich auch explizit digitale Inhalte wie Hyperlink-Materialien, Kontaktmöglichkeiten oder Social Input dem Kommentar zurechnen. (Bräuer 1993) Hinzu kommt, dass Editionen im „digitalen Paradigma“ (Sahle 2013, S. 149f.) bereits mit ihrer Datenmodellierung eine Kommentierung vornehmen; Roman Bleier und Helmut W. Klug kritisieren, dass dies in vielen Editionen zu wenig explizit gemacht werde. (Bleier/Klug 2020, S. 103)

Kommentar in Digitalen Editionen bietet die Möglichkeit, Hypertexte innerhalb und außerhalb des Internetauftritts der Edition zu verlinken; digitaler Kommentar kann sich in Richtung eines ‘sozialen Kommentars’ bewegen, indem er Benutzer-Input (angeleitet und redigiert) integriert; und er kann den Boden für weitergehende Analysen bereiten, indem er etwa Forschungsdaten zum Download oder semantisches Markup anbietet. Im Interface kann der Kommentar aus dem Anmerkungsapparat in die Leseansicht der Edition wandern, man kann der Userin, dem User etwa anbieten, den Kommentar in einer synoptische Ansicht oder als Popup nach Bedarf ein- und auszublenden. Zu den Vorteilen eines digitalen gegenüber eines gedruckten Kommentars gehören zudem die Möglichkeit, Kommentare in einer Datenbank zu sammeln und bei Einzelstellen darauf zu verweisen (statt, wie bei Druckeditionen üblich, beim ersten Vorkommen des Lemmas), sowie die Korrigier- und Aktualisierbarkeit, womit – kontinuierliche Redaktion vorausgesetzt – dem Altern der Kommentareinträge entgegengewirkt werden kann.

Digitaler Kommentar wird sinnvollerweise mit Norm- und Metadaten (etwa GND) angereichert und mit anderen digitalen Ressourcen vernetzt. Bei Verlinkungen ist in Anbetracht der Ubiquität verfügbarer Information allerdings zu bedenken, dass der Qualitätsanspruch der jeweiligen Quelle geklärt werden muss. Patricia Zihlmann-Märki weist zu Recht auf die Gefahr einer „Abkehr von einem Standard“ hin, die mit der beobachtbaren Tendenz zur Ablösung der Stellenkommentare durch Erschließungen und Visualisierungen einhergehe – einer Tendenz, die auch auf gerne in Kauf genommene Einsparungen (finanziell) aufwändiger Kommentararbeit hinweisen könnte (Zihlmann-Märki 2020, S. 174)

Literatur:

  • Bleier, Roman; Klug, Helmut W. 2020. Funktion und Umfang des Kommentars in Digitalen Editionen mittelalterlicher Texte: Eine Bestandsaufnahme. In: Annotieren, Kommentieren, Erläutern. Aspekte des Medienwandels. Berlin/Boston, S. 97–112.
  • Bräuer, Rolf. 1993. Unterschiedliche Kommentierungstypen in Ausgaben mittelalterlicher Texte 7, S. 135–143.
  • Martens, Gunter. 1993. Vorwort des Herausgebers. In: Kommentierungsverfahren und Kommentarformen. Tübingen, S. IX–X.
  • Plachta, Bodo. 1997. Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte Editionswissenschaft.
  • Sahle, Patrick. 2013. Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik. Norderstedt.
  • Woesler, Winfried. 1993. Zu den Aufgaben des heutigen Kommentars. In: editio 7, S. 18–35.
  • Zihlmann-Märki, Patricia. 2020. Kommentierung in gedruckten und digitalen Briefausgaben. In: Annotieren, kommentieren, erläutern. Aspekte des Medienwandels. Berlin/Boston, S. 159–174.

Zitiervorschlag:

Straub, Wolfgang. 2021. Kommentar in digitalen Editionen. In: KONDE Weißbuch. Hrsg. v. Helmut W. Klug unter Mitarbeit von Selina Galka und Elisabeth Steiner im HRSM Projekt "Kompetenznetzwerk Digitale Edition". Aufgerufen am: . Handle: hdl.handle.net/11471/562.50.34. PID: o:konde.34