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Weißbuch

Paläotypie TEI Download PDF Download

Neuber, Frederike; frederike.neuber@bbaw.de

Anliegen der Paläotypie ist die Erforschung historischer Druckschriften. Primärer Forschungsgegenstand der buchwissenschaftlichen Hilfswissenschaft sind dabei Inkunabeln, d. h. Frühdrucke aus der Zeit von 1438, als Johannes Gutenberg seine frühesten Druckversuche unternahm, bis etwa 1500. Die Angabe zur Zeitspanne der Wiegendruckproduktion dient dabei lediglich zur Orientierung, denn die Inkunabelzeit auf einen klaren zeitlichen Rahmen festzulegen gestaltet sich schwierig, u. a. da die Entwicklung über Län­dergrenzen hinweg einen unterschiedlichen Verlauf nahm. (Haebler 1979, S. 2f.)

Ziel der Paläotypie ist die Datierung und Identifikation unfirmierter Wie­gendrucke, d. h. von Druckerzeugnissen ohne oder mit nur unzureichenden Angaben über Drucker, Druckort und Druckdatum. Die Zuordnung zu einer Offizine erfolgt mittels der Identifikation von Typen, da Drucker des 15. Jahrhunderts Typen ent­weder selbst herstellten oder Spezialisten in ihren Druckwerkstätten damit beauftragten, wodurch Stempel, Matrizen und Letternmaterial im Besitz einer be­stimmten Druckerei blieben. Durch den Abgleich mit bereits identifizierten Schriftquellen können Schriften so chronolo­gisch eingeordnet bzw. einer Offizine zugeordnet werden. (Duntze 2007, S. 23)

Anfang des 19. Jahrhundert leistete Ludwig Hain mit dem vierbändigen Repertorium bibliogra­phicum (Hain 1826–1838) paläotypische Pionierarbeit, indem er die Drucke nicht nur nach inhaltlichen Aspekten, sondern auch nach formalen Kriterien und dem Schrifttyp klassifizierte. (Haebler 1979, S. 11–19) 1898 führte der britische Buchwissenschaftler Robert Proctor den buchtech­nisch motivierten Ansatz fort und führte den Durchschnittswert der Messung von zwanzig Zeilen als weiteres Identifikationskriterium ein. (Proctor 1898–1903)

Anfang des 20. Jahrhunderts erweiterte Konrad Haebler die Proctor’sche Zeilen­messung mit einen zweiten exakten Faktor zur Identifizierung von Inkunabeln: der Form der Majuskel ‘M’, da diese nach Haeblers Auf­fassung in den gotischen Schriften der Frühdruckzeit die zahlreichsten Formva­rianten aufweist. Analog zur ‘M-Form’ als Leitbuchstabe der ge­brochenen Schriften, wurde für Antiquaschriften die ‘Qu’-Form als Identifizierungsmerkmal fest­gelegt. (Haebler 1979, S. 88–91) In Haeblers fünfbändigem Typenrepertorium der Wiegendrucke, das zwischen 1905 und 1924 er­schien, sind fast 4000 exemplarische Druckschriften verzeichnet. (Haebler 1905–1924)

Seit Ende der 1990er Jahre werden die Daten aus Haeblers Typenrepertorium im Zusammenhang mit der Erstellung des Gesamtkatalogs der Wiegendrucke am In­kunabelreferat der Staatsbibliothek zu Berlin in eine Datenbank übertragen. Das digitale Typenrepertorium der Wiegendrucke baut auf der Proctor-Haebler-Methode auf und verzeichnet mehr als 6000 Drucktypen.

Literatur:

  • Duntze, Oliver. 2007. Ein Verleger sucht sein Publikum: die Strassburger Offizin des Matthias Hupfuff (1497/98-1520). München.
  • Haebler, Konrad. 1979. Handbuch der Inkunabelkunde. Stuttgart.
  • Haebler, Konrad. 1968. Typenrepertorium der Wiegendrucke. Wiesbaden.
  • Hain, Ludwig. 1826. Repertorium bibliographicum, in quo libri omnes ab arte typographica inventa usque ad annum MD. typis expressi, ordine alphabetico vel simpliciter enumerantur vel adcuratius recensentur. Stuttgart, Tübingen.
  • Proctor, Robert. 1898. An index to the early printed books in the British Museum: from the invention of printing to the year 1500, Bd. 1–4. London.

Zitiervorschlag:

Neuber, Frederike. 2021. Paläotypie. In: KONDE Weißbuch. Hrsg. v. Helmut W. Klug unter Mitarbeit von Selina Galka und Elisabeth Steiner im HRSM Projekt "Kompetenznetzwerk Digitale Edition". Aufgerufen am: . Handle: hdl.handle.net/11471/562.50.221. PID: o:konde.221