KONDE - Kompetenznetzwerk Digitale Edition

Weißbuch

Intratextualität (Fokus: Literaturwissenschaft – Bsp. Musil) TEI Download PDF Download

Fanta, Walter; walter.fanta@aau.at / Boelderl, Artur R.; artur.boelderl@aau.at

In der Perspektive digitaler Online-Edition manifestiert sich Intratextualität (jenseits der anhaltenden fachwissenschaftlichen Diskussion um den Begriff) heuristisch als jene Form der intertextuellen Beziehung (Intertextualität), die innerhalb des Œuvres einer Autorin oder eines Autors besteht, wobei sowohl der Grund dieses Bestehens (z. B. entstehungsbedingte Varianz) als auch seine Qualität (z. B. wiederholte Abhandlung eines bestimmten Motivs) bzw. sein Umfang (z. B. bei publizistischen Mehrfachverwertungen) unterschiedlich sein können. Die Annotation hat in jedem Fall der Eigenart des spezifischen intratextuellen Bezugs Rechnung zu tragen.

Am Beispiel Musils gesagt, ist der Umgang dieses Autors mit werkinternen textuellen Bezugnahmen so markant, dass er seitens der UNESCO sogar als ein Hauptcharakteristikum seines Schreibens gewürdigt wurde und Eingang in die Begründung für die Erklärung des Nachlasses zum Dokumentenerbe fand: „mittels [s]eines Siglensystems“ sei das Wissen seiner Zeit „zu einem Ganzen verwoben“ (UNESCO 2020). Die Annotation dieses höchst komplexen Siglensystems nach TEI gelingt in einer zwar nicht ganz einfachen Weise, jedoch wird mit dem verwendeten aufwändigen Referenzsystem erreicht, dass Musils prä-digitale hypertextuelle Schreibapparatur komplett im digitalen Medium abgebildet wird und damit als Hypertextsystem präsentiert werden kann. (Sahle 2013, S. 87) In der hier vorgestellten XML/TEI-Architektur sind Siglen an fünf Orten als Textknoten und als abstrahierter Attributwert verzeichnet:

  • Seitensiglen im <teiHeader> der Transkription in <msPart> im Element <altIdentifier> in einer typisierten Form;
  • Seitensiglen im <body> <text> der Transkription im Element <fw> in der transkribierten Form;
  • Verweissiglen im <body> <text> der Transkription im Element <ref> in der transkribierten Form;
  • die Seitensiglen in ihrer makrogenetischen Funktionalität in den Tabellen des Dokuments tgd.xml (i. e. textgenetisches Dossier);
  • Gesamtdokumentation sämtlicher Siglen mit allen Repräsentanten im Dokument tutorial.xml.

Zu Musils intratextueller Verweispraxis zählt neben dem Gebrauch des Siglensystems noch die Verwendung spezieller Chiffren für Textrevision, Verweise und Abkürzungen. Die Chiffren werden generell mit dem Element <metamark> ausgezeichnet, im Attributwert von @function erfolgt die nähere Bestimmung des Schreibakts, der hier seine Spur hinterlassen hat, z. B. <metamark function="deletion"/> für das Deleatur-Zeichen; analog wird bei allen nicht alphanumerischen Zeichen vorgegangen. Wenn sich die Funktion des graphischen Elements nicht bestimmen lässt, kommt <metamark function="unspecified"/> zum Einsatz. Graphische Darstellungen, Skizzen oder Zeichnungen Musils bei seiner Schreibarbeit werden durch <figure> repräsentiert, die häufigen Verweischiffren (Pfeile, Linien und andere Zeichen mit Verweischarakter) durch <metamark function="reference"/>. Chiffren in Abkürzungsfunktion werden mit dem Element <choice> in Verbindung mit <abbr> und <expan> aufgelöst (Bsp. 1: „Parallelaktion“ im Mann ohne Eigenschaften). Die von Musil schon früh erfundenen Figurenchiffren, die er über zwanzig Jahre in allen seinen Studien- und Schmierblättern zum Mann ohne Eigenschaften verwendet, werden mit dem Element <rs> einem Register zugewiesen, das die Funktion eines textgenetischen Figurenkommentars erfüllt und insofern die Auszeichnungspraxis der Annotation an die Grenze zur Kommentierung führt (Bsp. 2).

Inwiefern diese Grenze zugleich mit dem fließenden Übergang zwischen Intra- und Intertextualität korrespondiert, verdeutlicht die Annotation von Personennamen im Textkorpus des Musil-Nachlasses, da Personen fast immer Autoren sind (Bsp. 3: die etliche Male vorkommende Namenschiffre „Th M“). Ausgebaut wird diese Annotationspraxis, wenn ein konkretes Werk des Autors benannt und aus ihm zitiert wird, etwa in den zahlreichen Exzerpten im Nachlass Musils. Als einfaches Beispiel für den weitreichenden Sachverhalt möge die Anmerkung Musils auf einem Studienblatt dienen, Agathes „Gedächtnis hat Ähnlichkeit mit dem der Imbezillen Bleuler 463“ (Bsp. 4 u. 5). Es besteht die Hoffnung, auf diese relativ einfache Weise das gesamte Netz von Intertextualität, das Musils Nachlass überzieht, für die digitale Repräsentation und Nachnutzung einzufangen.

Bsp. 1:

<choice>
<abbr>//</abbr> <expan>Parallelaktion, Parallele,
parallel</expan></choice>

Bsp. 2:

<rs type="figure" ref="Tuzzi"><hi rend="underline">SCh T</hi></rs>

Der Attributwert "Tuzzi" ist Lemma im Register figuren.xml, wo u. a. die Genese der Figur beschrieben wird.

Bsp. 3:

<rs type="person" ref="Mann_Thomas">Th M</rs>

Der Attributwert von @ref verweist auf den Eintrag zu Thomas Mann in einer Normdatenbank, die noch zu bestimmen sein wird.

Bsp. 4:

Gedächtnis hat Ähnlichkeit mit dem der Imbezillen

<cit>
<q>Bleuler 463</q>
<bibl><author>Bleuler, (Paul) Eugen</author>
<title>Lehrbuch der Psychiatrie</title></bibl>
</cit>

Mit dem Attributwert von @corresp in dem Element <bibl> wird auf das Dokument bibliographie.xml verwiesen, wo sich das vervollständigte bibliographische Zitat befindet.

Bsp. 5:

Zusätzlich besteht die Möglichkeit, im Fall der Exzerpte die Quelle im <teiHeader> <msPart> einer bestimmten Manuskriptseite zuzuweisen:

<surrogates> Quelle:
<cit><q>Bleuler</q>
<bibl><author>Bleuler, (Paul) Eugen</author>
<title>Lehrbuch der Psychiatrie</title></bibl>
</cit></surrogates>

Dieser Beitrag wurden im Kontext des FWF-Projekts "MUSIL ONLINE – interdiskursiver Kommentar" (P 30028-G24) verfasst.

Literatur:

Zitiervorschlag:

Fanta, Walter; Boelderl, Artur R. 2021. Intratextualität (Fokus: Literaturwissenschaft – Bsp. Musil). In: KONDE Weißbuch. Hrsg. v. Helmut W. Klug unter Mitarbeit von Selina Galka und Elisabeth Steiner im HRSM Projekt "Kompetenznetzwerk Digitale Edition". Aufgerufen am: . Handle: hdl.handle.net/11471/562.50.21. PID: o:konde.21