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Stemmatologie TEI Download PDF Download

Andrews, Tara; tara.andrews@univie.ac.at

Stemmatologie ist eine Subdisziplin der Textwissenschaften, die sich mit der Ermittlung der wahrscheinlichsten Überlieferungsabhängigkeiten eines Textes befasst. Im Falle von vormodernen Texten bedeutet dies meist die Erstellung eines Stammbaums (Stemma), der anzeigt, von welchem Exemplar (oder welchen Exemplaren) Abschriften angefertigt wurden. Der Begriff wird auch mitunter im Kontext genetischer Textkritik verwendet und bezeichnet dort die Reihenfolge der von einer einzigen Autorin oder einem einzigen Autor erzeugten Redaktionen.

Die traditionelle Methode zur Erstellung von Stemmata wird (nach Karl Lachmann, einem deutschen Philologen des 19. Jahrhunderts) ‘Lachmannsche Methode’ genannt. Sie beruht auf der Vorstellung, sogenannte ‘wahre Lesarten’ des ursprünglichen Textes von ‘Fehlern’ oder Änderungen späterer Abschreiberinnen und Abschreiber unterscheiden zu können, seien sie absichtlich vorgenommen worden oder unabsichtlich zustande gekommen. Wenn eine diesbezügliche Einschätzung vor der Texterstellung nicht möglich oder angebracht erscheint, oder wenn die Zahl der Überlieferungen besonders hoch ist, greift man heute vermehrt auf statistische Methoden zurück, um das Verhältnis zwischen den Handschriften zu bestimmen. Während es üblich ist, breit zugängliche Software zu verwenden, die ursprünglich für Evolutionsbiologie geschrieben wurde (etwa Phylip PARS oder SplitsTree), existieren auch Algorithmen wie RHM (Roos et al. 2006) sowie die Leitfehler-basierte Methode (Roelli 2014), die mit Blick auf die speziellen Bedürfnisse der Textwissenschaften entwickelt worden sind.

Literatur:

  • Howe, Christopher J; Connolly, Ruth; Windram, Heather F. 2012. Responding to Criticisms of Phylogenetic Methods in Stemmatology. In: Studies in English Literature 1500-1900 52, S. 51–67.
  • Parvum Lexicon Stemmatologicum. URL: https://wiki.helsinki.fi/display/stemmatology/Parvum+lexicon+stemmatologicum
  • Mooney, Linne Ruth; Robinson, Peter; Howe, Christopher J; Barbrook, Adrian C. 2004. Parallels Between Stemmatology and phylogenetics. In: Studies in Stemmatology. Hrsg. von Pieter van Reenen, August den Hollander und Margot van Mulken. Amsterdam, S. 3-11.
  • Roelli, Philipp. 2014. Petrus Alfonsi or On the mutual benefit of traditional and computerised stemmatology. In: Analysis of Ancient and Medieval Texts and Manuscripts: Digital Approaches. Hrsg. von Caroline Macé und Tara Andrews. Turnhaut, S. 45–70.
  • Roos, Teemu; Heikkilä, Tuomas; Myllymäki, Petri; Brewka, G; Coradeschi, S; Perini, A; Traverso, P. 2006. A Compression-Based Method for Stemmatic Analysis. In: Proceeding of the 2006 conference on ECAI 2006 ECAI. Amsterdam, S. 805–806.
  • Trovato, Paolo. 2014. Everything You Always Wanted to Know about Lachmann's Method. Padova.

Zitiervorschlag:

Andrews, Tara. 2021. Stemmatologie. In: KONDE Weißbuch. Hrsg. v. Helmut W. Klug unter Mitarbeit von Selina Galka und Elisabeth Steiner im HRSM Projekt "Kompetenznetzwerk Digitale Edition". Aufgerufen am: . Handle: hdl.handle.net/11471/562.50.172. PID: o:konde.172