KONDE - Kompetenznetzwerk Digitale Edition

Weißbuch

Annotation (Literaturwissenschaft: grundsätzlich) TEI Download PDF Download

Boelderl, Artur R.; artur.boelderl@aau.at / Fanta, Walter; walter.fanta@aau.at

Jedes Mal, wenn ein Ausdruck in einem Text erscheint, gewinnt er dort seine Bedeutung durch den Bezug zu einem anderen Text. Diese seine Iterabilität (zeichentheoretisch gesprochen: die allgemeine Wiederholbarkeit) als Möglichkeitsbedingung von Textualität überhaupt zeitigt im literaturwissenschaftlichen Bereich Konsequenzen, denen die digitale Online-Edition literarischer Textkorpora durch Annotation Rechnung zu tragen hat. Sie repräsentiert unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen eine neuartige Form von Kommentar, die von der Polysemie des literarischen Textes ausgeht, um sich in einer nicht einschränkenden, nicht urteilenden Art möglicher Verstehensweisen anzunehmen und diese im Rahmen der Kommentierung an die Leser zu vermitteln.

Der althergebrachten editionswissenschaftlichen Forderung, dass der Kommentar dem Text den Weg bahnen solle, kann durch Annotation, d. h. Auszeichnung des Textes nach XML/TEI, Genüge getan werden, insofern sie erlaubt, jene textologisch bedingten Überschneidungen und Überlappungen der Grenzen zwischen Text und Kommentar zu markieren, ohne diese jedoch selbst zu übertreten. Das philologische Ziel, das Textkorpus als Resultat von und Beitrag zu einem größeren Ganzen im Sinne eines letztlich epochenspezifischen Diskurshorizonts erkennbar zu machen, wird dadurch erreicht, dass die Annotation sowohl seine diachronen wie synchronen Aspekte erfasst: diachron, insofern sie die textgenetische wie diskursgeschichtliche Perspektive verzeichnet, welcher sich die faktische Gestalt des Korpus, ob veröffentlicht oder nicht, ob ‘vollendet’ oder fragmentarisch, auf nicht-kausale bzw. nicht-deterministische Weise verdankt; synchron, insofern sie den den jeweiligen Zeitgenossen des Textkorpus mutmaßlich möglichen Verständnishorizont erschließen hilft, ohne den heutigen User auf diesen festzulegen. Die so verstandene Annotation, die die textuellen Dimensionen Textgenese (in den drei Perspektivierungsgrößen Mikro-, Meso- und Makrogenese), Intra- und Intertextualität sowie Interdiskursivität umfasst und für die sich als Umsetzungsform eine Hybridedition empfiehlt, stellt damit die Einlösung des unter traditionellen editorischen Bedingungen unmöglichen Desiderats sicher, dass die Kommentierung des Textes als Teil der digitalen Online-Edition gerade nicht veralte. (Boelderl 2018, Fn.5 und Boelderl/Fanta 2020)

Dieser Beitrag wurden im Kontext des FWF-Projekts "MUSIL ONLINE – interdiskursiver Kommentar" (P 30028-G24) verfasst.

Literatur:

  • Boelderl, Artur R; Fanta, Walter. 2020. MUSIL ONLINE – Vorüberlegungen zur Kommentierung. In: Annotieren, Kommentieren, Erläutern. Aspekte des Medienwandels. Hrsg. von Wolfgang Lukas und Elke Richter. Berlin, Boston, S. 147–157.
  • Boelderl, Artur R. 2018. Vom Livre irréalisé zum Texte hyperréalisé. In: Digitale Metamorphose: Digital Humanities und Editionswissenschaft. Hrsg. von Roland S. Kamzelak und Timo Steyer.

Zitiervorschlag:

Boelderl, Artur R.; Fanta, Walter. 2021. Annotation (Literaturwissenschaft: grundsätzlich). In: KONDE Weißbuch. Hrsg. v. Helmut W. Klug unter Mitarbeit von Selina Galka und Elisabeth Steiner im HRSM Projekt "Kompetenznetzwerk Digitale Edition". Aufgerufen am: . Handle: hdl.handle.net/11471/562.50.17. PID: o:konde.17