KONDE - Kompetenznetzwerk Digitale Edition

Weißbuch

Leseausgabe TEI Download PDF Download

Moser, Doris; doris.moser@aau.at

Der Begriff ‘Leseausgabe’ bezeichnet die niederschwelligste Form einer auf wissenschaftlicher Grundlage erarbeiteten Edition eines (vorwiegend) literarischen Werkes in Buchform. Das Zielpublikum ist eine interessierte Leserschaft ohne einschlägige wissenschaftliche Vorbildung (science to public), die in der Leseausgabe einen authentischen Text vorfinden soll. Eine Leseausgabe enthält den edierten Text und ein Nachwort mit Hinweisen auf die verwendete Textgrundlage. Das Nachwort (oder Vorwort) kann knapp ausfallen oder ausführlich sein und über Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, gelegentlich auch über die Überlieferungsgeschichte informieren. Mitunter enthält sie einen Abschnitt, in dem grundlegende editorische Entscheidungen angegeben werden, sowie rudimentäre Stellenkommentare. Ein kritischer Apparat und ein Variantenverzeichnis bleiben der kritischen bzw. historisch-kritischen Ausgabe vorbehalten.

Leseausgaben existieren als Edition eines Einzelwerks, einer Werkauswahl (Werkausgabe) oder des Gesamtwerks (Gesamtausgabe) einer Autorin, eines Autors. Allgemein verbindliche editorische Standards für Leseausgaben gibt es nicht, zu unterschiedlich sind Ausgangslagen (z. B. Neuausgabe vs. Nachlassedition) und Zielvorstellungen (z. B. wissenschaftliche vs. kommerzielle Aspekte). Auch beschäftigt sich die Editionswissenschaft nicht systematisch mit dem Typus Leseausgabe, er wird nur in Abgrenzung zu science-to-science-Typen der Edition, wie der kritischen (kommentierten) Edition oder der historisch-kritischen Edition, behandelt. Der Übergang von einer Studienausgabe, der meist preisgünstigeren kleinen Schwester der kritischen bzw. historisch-kritischen Edition, zur Leseausgabe ist fließend, gelegentlich werden die Begriffe inzwischen synonym bzw. gemeinsam verwendet. (Die Johann Peter Hebel-Ausgabe von 2019 bei Wallstein ist eine ‚Kommentierte Lese- und Studienausgabe‘).

Im 19. Jahrhundert wurde die Leseausgabe als ‘Volksausgabe’ bezeichnet, ein Begriff, der gelegentlich für ideologisch motivierte Massenausgaben ohne verlässliche Textgrundlage verwendet wurde. Später haben Buchgemeinschaften preisgünstige Klassiker-Ausgaben als Volksausgaben vermarktet. Die meisten Leseausgaben entstehen als Sekundärverwertung einer kritischen bzw. historisch-kritischen Buchausgabe. Gegenwärtig findet man Leseausgaben auch als Auskoppelung aus Hybridausgaben, die den Lesetext in Buchform und den editorischen Kommentar und Apparat in digitaler Form bieten. Es gibt aber auch Leseausgaben als eigenständig erarbeitete Editionen, die mit der Erschließung des Werks zugleich seine Vermittlung an ein breiteres Lesepublikum beabsichtigen. Gerade dieser Aspekt der Textvermittlung könnte auch im Rahmen von Digitalen Editionen weiterverfolgt werden, mit der Fragestellung, ob und wie Lesefassungen edierter Texte in eine Onlinepräsenz eingebaut werden könnten.

Literatur:

  • Dane, Gesa; Jungmayr, Jörg; Schotte, Marcus (Hrsg.). 2013. Im Dickicht der Texte. Editionswissenschaft als interdisziplinäre Grundlagenforschung.
  • Nutt-Kofoth, Rüdiger. 2009. Editionswissenschaft. In: Methodengeschichte der Germanistik. Hrsg. von Jost Schneider, S. 109–132.
  • Plachta, Bodo. 2013. Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte. Stuttgart.
  • Amann, Klaus; Moser, Doris (Hrsg.). 2015. Christine Lavant: Werke in vier Bänden. Göttingen.

Zitiervorschlag:

Moser, Doris. 2021. Leseausgabe. In: KONDE Weißbuch. Hrsg. v. Helmut W. Klug unter Mitarbeit von Selina Galka und Elisabeth Steiner im HRSM Projekt "Kompetenznetzwerk Digitale Edition". Aufgerufen am: . Handle: hdl.handle.net/11471/562.50.116. PID: o:konde.116